Zwei Jahre im Ausland haben mich eine neue Perspektive auf Dankbarkeit gelehrt. In diesem Artikel zeige ich dir, wie Dankbarkeit als Mittel gegen Unzufriedenheit wirken kann.
Während meiner Weltverändererphase wurde ich Krankenschwester und wollte irgendwann den Menschen in Afrika helfen. Ich hatte romantische Bilder im Kopf, wie ich nach einem Tag des Wundensäuberns in die dankbaren Augen vieler Afrikaner schauen würde. Ich würde mich abends mit dem wohltuenden Gefühl ins Bett legen, die Welt ein bisschen verbessert zu haben.
Wenige Jahre nach Abschluss meiner Ausbildung hatte ich die Möglichkeit, genau das zu tun.
Die Welt verändern
Ich lebte und arbeitete für zwei Jahre auf einem Schiff der Hilfsorganisation GBA Ships. Als Teil einer internationalen Crew von über 300 Leuten aus mehr als 40 Ländern arbeiteten wir eine Sechs-Tage-Woche. Unser monatliche Taschengeld betrug genau 20 US Dollar (etwa 17 Euro). Die Kosten für Unterbringung, Versicherungen, Lebensmittel, Einreisegebühren, Hafengebühren usw. wurden von privaten Spendern getragen.
Durchschnittlich lagen wir zwei Wochen in einem Hafen, bevor es weiterging. Meine 8 Quadratmeter kleine Kabine teilte ich mir mit zwei bis drei anderen Frauen. Stockbetten, Gemeinschaftsduschen, Bettruhe, strenge Regeln. Der Kontrast zur eigenen Wohnung, einem guten Gehalt und dem selbstbestimmten Leben in Deutschland hätte kaum größer sein können.
Während der wenigen europäischen Häfen zu Beginn meiner Dienstzeit wirkten wir verhältnismäßig arm. Was kann man an seinem freien Tag schon mit solch stark begrenzten Mitteln anstellen? Sobald wir jedoch die Häfen im Nahen Osten, in Ostafrika und Indien ansteuerten, änderte sich das Bild ganz schnell.
Ein Perspektivwechsel
Dass das gleiche Taschengeld plötzlich sehr viel großzügiger wirkte, war das Geringste. Für die Besucher der Programme an Bord waren wir jetzt die Reichen. Eins der schockierendsten Länder war für mich Djibouti. Die Menschen waren bitterarm und mussten zudem Ströme von Flüchtlingen aus den Nachbarländern in riesigen Flüchtlingslagern unterbringen.
Und genau dort bot sich die Gelegenheit, meinen Traum zu verwirklichen. Als Teil einer kleinen Gruppe von medizinisch ausgebildeten Besatzungsmitgliedern half ich den Menschen in einem dieser Lager. In Zusammenarbeit mit einem amerikanischen Arzt boten wir an zwei Tagen eine Art „Sprechstunde am Lieferwagen“ an.
Die Stunden in diesem Lager gehören für mich zu den schlimmsten meines Lebens. Es ist unmöglich, die erschütternde Kombination aus übermäßiger Hitze, Schlamm, Müll, Gestank, streunenden Tieren, weinenden Kindern und Hoffnungslosigkeit zu beschreiben. (In diesem Video über unseren Einsatz in Djibouti bekommst du einen Eindruck.)
Unzufriedenheit und Dankbarkeit
Als ich meinen Traum verwirklicht und in Afrika Wunden verbunden hatte, blieb das gute Gefühl aus. Stattdessen fand ich mich in einem Wirbel von existenziellen Fragen wieder.
Wie geht es mit diesen Menschen weiter? Warum wird der Müll nicht irgendwo gesammelt? Was kann man gegen so ein überwältigendes Ausmaß an Elend tun? Wer kann schon freiwillig dort bleiben wollen, um langfristig zu helfen? Warum hatte ich das Glück in Deutschland geboren zu sein?
Und unter all diesen Fragen entdeckte ich eine verwirrende Erleichterung. Die Erleichterung, dass ich
- wieder gehen konnte
- auf dem klimatisierten Schiff nach einem ausreichenden Abendessen in meinem sauberen Bett schlafen durfte
- nach wenigen Tagen das Land wieder verlassen kann
- am Ende meiner zweijährigen Dienstzeit in ein Flugzeug steigen und zurück nach Deutschland reisen kann
Dankbarkeit und seine Folgen
Dieser sehr krasse Blick über den Tellerrand hat viel in mir bewirkt, was auch mehr als zehn Jahre nach meiner Rückkehr noch anhält. Während der ersten Monate zurück in Deutschland war es mir unerträglich, Beschwerden über die zehn Euro Praxisgebühr zu hören. Zu eindrücklich waren die Erlebnisse von fehlender medizinischer Behandlung.
Schimpfen über die Zustände in unserem Land gelingt mir immer noch nicht. Zu deutlich war der Kontrast, dass auch die Ärmsten unter uns von Millionen weltweit beneidet werden.
Die durchschlagendste Folge meiner Horizonterweiterung war jedoch eins: Ich bin unglaublich dankbar, hier in Frieden und Freiheit leben zu können.
Ein Mittel gegen Unzufriedenheit
Natürlich ist mir bewusst, dass es in unserem Land Probleme gibt, die angegangen werden müssen. Leid und Elend hier ist nicht weniger wert als anderswo. Unsere alltäglichen Probleme sind auch reale Probleme.
Dennoch hilft mit Dankbarkeit dabei, etwas Wesentliches nicht aus den Augen zu verlieren: Den allermeisten von uns geht es gut und wir schimpfen auf sehr hohem Niveau. Immerhin gehören wir zu den beneidenswerten 10% der reichsten Menschen der Welt.
Dankbarkeit
Bewusstsein für unseren Reichtum – auch mit allen Einschränkungen – schürt Dankbarkeit in Sekundenschnelle. Und davon profitiere ich ganz vielfältig: Ich gehe zufriedener durch meinen Alltag. Ich bin gelassener, wenn sich Schwierigkeiten zeigen.
Und ich erlebe mehr Lebensfreude, wenn Dankbarkeit statt Unzufriedenheit meinen Alltag dominiert.
Der einfachste Schritt zu mehr Dankbarkeit in deinem Leben führt über einen Blick über den Tellerrand.
Probiere es aus: Wenn du das nächste Mal von Unzufriedenheit überwältigt wirst, dann notiere 10 Dinge, wofür du dankbar bist – in unserem Land, in deinem Umfeld und mitten im Alltag.
Und beobachte, ob Dankbarkeit es nicht schafft, deine Perspektive zu verändern.
Und nebenbei auch größere Lebensfreude mitbringt.
Danke für Deine sehr ergreifenden und persönlichen Worte Schwesterlein! Das „Anspruchsdenken“ ist ein Ansatz, der in dieser Thematik noch gar nicht aufgegriffen wurde. Vielen Dank für diesen Blickwinkel und auch Deine Stimme!
Ein sehr berührender, aber dennoch wunderbar geschriebener Bericht liebe Heidi. Du sprichst mir aus der Seele! LG Jana