Schlanksein ist kein Beweis für Diäten. Auch wenn bei all den vielen schlanken Menschen Diäten scheinbar funktionieren – du kennst oft nur eine Seite der Medaille. Hier zeige ich dir, wie die andere Seite aussehen kann.
„Bei all den schlanken Menschen scheinen Diäten doch zu funktionieren, oder?“
Diese Frage stellte ich mir ab und zu, wenn ich unzufrieden mit meinem Körper durch die Stadt lief. Ich war scheinbar von einer überwältigenden Mehrzahl an schlanken Körpern umgeben.
Dazu kommen noch all die Stars und Sternchen, die wir seit Jahrzehnten kennen. Deren Makellosigkeit scheint uns immer wieder eines Besseren zu belehren: Diäten funktionieren ganz klar, man muss nur durchhalten. Oder die richtige Variante finden. Oder seine Ernährung umstellen. Sich gesund ernähren. Genügend Sport machen. Oder…
In diesem Artikel zeige ich dir, warum Schlanksein kein Beweis für eine funktionierende Diät ist.
Im Laufe meines Heilungsprozesses habe ich gelernt: Die Frage nach „all den Schlanken“ nimmt eine interessante Wendung, sobald man hinter die Fassaden schaut. In den meisten Fällen gehören schlanke Menschen zu einer der folgenden Gruppen:
#1 Natürlich schlanke Menschen sind kein Beweis für Diäten – im Gegenteil
Wahrscheinlich kennst du mindestens einen. Menschen, die niemals eine nennenswerte emotionale Bindungen zum Essen aufgebaut haben. Sie konnten schon immer essen, was sie wollten. Sie gehen entspannt an der Schokolade vorbei. Und sagen zu Kuchen nein, weil sie keinen Hunger haben.
Sie essen mit dem größten Vergnügen, doch nur, was ihnen auch schmeckt. Von Ernährungstrends lassen sie sich nicht mitreißen. Und eine temporär etwas enger sitzende Hose bringt sie nicht aus der Ruhe.
Sie haben kein Problem damit, etwas auf dem Teller liegen zu lassen. Oder bei einem besonderen Festmahl über den Hunger zu essen. Sie bewegen sich, weil sie daran Spaß haben. Im Fitnessstudios trifft man sie nur selten.
Diese Menschen beweisen das genaue Gegenteil von Diäten: Ein natürliches Essverhalten hält den Körper schlank.
#2 Stars sind kein Beweis für Diäten
Eine kleine Offenbarung war für mich ein Artikel vor einigen Monaten: Er beschrieb, was es Jennifer Aniston kostet, auch mit Ende 40 noch auszusehen wie 30. Und damit erklärt sich auch, wie Berühmtheiten viele Jahre lang ihren Körper fit erhalten.
Es ist Teil ihres Jobs, so auszusehen und deshalb sind viele Stunden pro Tag für Sport und Personal Training einkalkuliert. Nebenbei ist gesunde Ernährung ein ganz anderes Thema, wenn
- man sich kaum ums Kochen kümmern muss oder
- speziell zusammengestellte Mahlzeiten dreimal am Tag ins Haus geliefert bekommt
- man kein Rücksicht auf die Bedürfnisse von Kindern nehmen muss
Ganz nebenbei ist jedoch auch Hollywood von Berühmtheiten durchzogen, die über die Jahre mit einem ständigen Gewichts-Auf-und-Ab in den Schlagzeilen zu finden sind.
Alles, was schlanke Stars beweisen ist:
- Man muss ein Leben lang auf Diät bleiben.
- Gesunde Ernährung ist leichter, wenn man sich nicht um alle Details zusätzlich zur Arbeit kümmern muss.
#3 Menschen mit diagnostizierten Essstörungen
Extreme Beispiele von Anorexie oder Bulimie lassen sich schnell als solche erkennen. Doch viele Erkrankte bewegen sich für eine ganze Weile optisch im Bereich der „Durchschnittsschlanken“.
Nebenbemerkung: Es ist immer noch eine falsche Wahrnehmung, dass Menschen mit einer Essstörung spindeldürr aussehen. Das ist einer der Hauptgründe, warum sich Menschen mit größeren Körpern nicht zum Arzt getrauen. Oder damit gar nicht ernst genommen werden.
#4 Sportler sind kein Beweis für Diäten
Menschen, die aus beruflichen Gründen sehr viel Sport machen sehen in der Regel entsprechend athletisch aus. Und auch hier ist wieder der entscheidende Unterschied zum „Otto Normalverbraucher“: Wenn Sport neben Arbeit, Familie und Haushalt unterkommen muss, sieht die Sache anders aus!
Zudem gibt es auch eine große Anzahl schlanker Menschen, die mit übermäßigem Sport ihren Körper in Schach zu halten. Wenn Sport dem Körper so viel abverlangt, dass eine Frau keine Menstruation mehr bekommt, dann müssen die Alarmglocken schellen. Egal wie gesund und schlank sie scheinen mag. Ihr Körper hält es offensichtlich für nicht möglich, unter diesen Umständen neues Leben zu produzieren.
Dies ist eine oft unbeachtete dunkle Seite der Medaille. Wie viele Menschen opfern Zeit mit Familie und Kindern, Spaß und Lebensfreude, um neben Arbeit und Haushalt ein riesiges Sportpensum unterzukriegen?
#5 Menschen, die nebenbei abgenommen haben
Es geht: Man kann nebenbei und ohne Kämpfen Gewicht verlieren. Wenn wir eine Erkrankung ausschließen können, dann ist das häufig von größerer Dauer als jede Diät. Immerhin kam der Körper, aus welchen Gründen auch immer, selbst zu dem Schluss: Das kann weg.
#6 Menschen auf Dauer-Diät
Der meines Erachtens größte Teil schlank aussehender Menschen mit Diätengeschichte ist kein Beweis für Diäten oder ihre Effektivität. Im Gegenteil: Wer nicht den Jojo-Effekt erlebt, lebt dauerhaft mit Einschränkungen. Oft besitzen diese Menschen bewunderswerte Entschlossenheit und gehen mit Disziplin durchs Leben – so jedenfalls wirkt es von außen.
Bei genauer Betrachtung zeigen viele jedoch deutliche Kennzeichen einer Essstörung:
- Essanfälle
- ausgelassene Mahlzeiten
- konsequentes Abmessen/Wiegen/Zählen
- Einhalten von Regeln
- entschlossenes Vermeiden bestimmter Lebensmittel
- Ausschluß ganzer Nährstoffgruppen (Kohlenhydrate, Fett)
- harte Sporteinheiten
- Vermeiden von Einladungen
- ständige ums Essen kreisende Gedanken
- Kontrollverlust in der Stille.
Auch wenn diese Anzeichen von den meisten Ärzten nicht glasklar als Essstörung bezeichnet werden – ein normales Essverhalten sieht anders aus.
Versteckte Essstörung
Ein Grund, warum ich die offizielle Beschreibung der Binge Eating Störung in Deutschland für fehlerhaft halte ist folgender: Es heißt, dass man darunter das Verschlingen großer Mengen an Lebensmitteln mit Kontrollverlust versteht, jedoch ohne Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wie das bei Bulimie der Fall ist.
Was dabei unter den Tisch fällt: Viele Menschen leiden undiagnostiziert unter genau dieser Störung. Doch sie fallen nicht auf, da sie nicht übergewichtig sind. Und ihre Gegenmaßnahmen sehen einfach anders aus: Ein Essanfall wird mit dem Auslassen der nächsten Mahlzeit(en) oder mit mehreren Stunden harten Trainings ausgeglichen.
Schlanksein ist kein Beweis für wirksame Diäten
Ich möchte nicht, dass du ab jetzt jeden schlanken Menschen als essgestört betrachtest, um dich besser in deinem Körper zu fühlen. Vielmehr hoffe ich, etwas Perspektive in deine Wahrnehmung zu bringen. Und ich möchte dazu ermutigen, dich nicht von den Äußerlichkeiten blenden zu lassen.
Nicht jeder schlanke Mensch ist durch eine Diät zu dem geworden. Nicht jeder schlanke Mensch hat ein entspanntes Verhältnis zum Essen. Nicht jeder schlanke Mensch versteht sich selbst als solcher.
Nicht jeder schlanke Mensch ist ein glücklicher Mensch.
Was ist der Preis
Ja, es ist sicherlich möglich, mit hartem Training und strengem Essensplan zu einer Traumfigur zu kommen. Und es ist keine Frage, dass man mit lebenslanger Disziplin den Status Quo erhalten kann.
Was jedoch eine Illusion bleibt:
- eine Diät machen
- abnehmen
- und dann zu einem normalen Leben zurückkehren ohne wieder zuzunehmen.
Das ist in 98% der Fälle nicht möglich.
Die Frage ist also, ob du dauerhaft und für den Rest deines Lebens auf Diät leben möchtest?
Kannst du das mit einem klaren Ja beantworten? Bist du bereit, die Konsequenzen in Kauf zu nehmen? Dann freue mich, dass du dein Ding gefunden hast.
Doch wenn du
- nicht bereit bist, Nahrungsaufnahme und Körperdetails zum zentralen Thema deines Lebens zu erklären
- genug hast von ständig ums Essen kreisenden Gedanken
- wenn du nicht länger unter Kontrollverlust bei manchen Lebensmitteln und Ängsten bei sozialen Anlässen leiden möchtest
- nicht länger viele Stunden im Fitnessstudio oder bei der Rezeptsuche verbringen möchtest
und stattdessen dein Leben lieber fröhlich mit deinen Kindern, deinem Partner, deinen Freunden verbringst. Beim Lernen, Entdecken oder mit einem guten Buch. Wenn du dich neuen Themen widmen möchtest.
Dann sind Diäten nichts für dich.
Es geht nicht darum, sich gehen zu lassen. Doch es geht um einen veränderten Fokus und geklärten Werten.
Gehörst du weder zu den natürlich Schlanken noch zu denen, deren Job Zeit und Geld für die Körperform einkalkuliert?
Dann hast du im Grunde nur die Wahl zwischen Dauer-Diät und einem erfüllten Leben (mit einer Chance auf nebenbei verlorene Kilos).
Ich stimme dir in allen Punkten komplett zu und finde es toll, wie nachvollziehbar du alles erklärst. Was den Aspekt der Menschen mit Binge-Eating anbelangt, wollte ich ergänzen, dass beschriebenes Verhalten (sprich Essanfälle mit Auslassen von Mahlzeiten und/oder viel Sport) durchaus definiert ist. Jedoch fällt dies in die Kategorie “Bulimie“, weil eben die Kompensation vorhanden ist. Bulimie Non-Purging-Typ, Bulimie Typ 2, Atypische Bulimie oder Ecercise Bulimia sind Begriffe, unter denen diese Störung bekannt ist.
Liebe Miriam,
Vielen lieben Dank für die Aufklärung! Das ist gut zu wissen, dass es dafür noch Abstufungen gibt und Ausgleichsverhalten berücksichtigt wird. An dieser Stelle hätte ich nicht danach gesucht, weil es dem klassischen Verständnis von Bulimie nicht entspricht. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass in meiner Ausbildung jemals jemand etwas dazu gesagt hätte – aber die liegt auch schon ein paar Jährchen zurück 😉
Nochmals vielen Dank für den Hinweis!
Ganz liebe Grüße,
Heidi