Jeden Tag findet man mehrere Schlagzeilen über die furchtbaren Dinge, für die Zucker verantwortlich ist. Jeden Tag gibt es neue Studien darüber, was Zucker alles Schlimmes in unserem Körper anrichtet. Jeden Tag finden sich zahllose Berichte darüber, wieviel besser es Menschen geht, die komplett auf Zucker verzichten oder ihn zumindest stark einschränken. In diesem Artikel zeige ich dir, warum du vor Zucker keine Angst haben musst.
Unter diesem Vorzeichen ist die große Nervosität verständlich, wenn jemand daher kommt und behauptet, der Weg aus der Obsession mit Lebensmitteln und zwanghaftem Essverhalten geht nur über das uneingeschränkte Erlauben sämtlicher Lebensmittel. Jedes. Lebensmittel. Erlaubt.
Sollte ich nicht wenigstens den Zucker einschränken? Ist Zucker nicht die größte Gefahr unserer Zeit, wenn es um Gesundheit und ein langes Leben geht? Ich habe hier mehrere Aspekte zusammengetragen, die Dir auf dem Weg zu einem entspannten Essverhalten helfen können, auch zuckrige Lebensmittel mit Genuss zu essen.
#1 Schlagzeilen haben nur wenig mit der Realität zu tun
Nachdem in den 90er Jahren das Fett verteufelt wurde und schließlich von Eiern und später Salz abgelöst wurde, ist seit einigen Jahren der Zucker dran. Die Ernährungswissenschaft steht jedoch grundsätzlich auf sehr wackeligen Füßen, da sie in vielen Bereichen nur beobachten und auf mögliche Zusammenhänge schließen kann, jedoch keine handfesten Beweise bieten kann. (Wenn du mehr dazu lesen möchtest, dann empfehle ich dir das Buch Ernährungswahn* des Ernährungswissenschaftlers Uwe Knop.)
Das erklärt, warum sich alle paar Jahre der Sündenbock ändert. Dazu kommt, dass die wenigsten Journalisten auf das Lesen wissenschaftlicher Studien geschult sind und sich bevorzugt an schlagzeilen-verdächtige Interpretationen hängen. Diese Interpretationen sind in den meisten Fällen entweder überzogen, aus dem Zusammenhang gerissen oder grob fehlinterpretiert. Außerdem werden die meisten Studien auf Englisch veröffentlicht, was auch vielen Ärzten und deutschsprachigen Wissenschaftlern den Zugang zur Quelle der tatsächlichen Daten versperrt.
Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass eine gehörige Portion Skepsis gefragt ist, sobald Ernährungsfragen als bewiesene Tatsache dargestellt werden.
#2 Eine Studie ist nicht zwangsläufig ein Beleg
Jeder Wissenschaftler kann eine Studie so gestalten und aufbauen, dass das erwartete, medienwirksame Ergebnis dabei herauskommt. Unvoreingenommene Wissenschaftler arbeiten hart daran, einen Studienaufbau zu entwerfen, der den Ausgang in jede Richtung offen lässt. Doch leider gibt es genügend Forscher, die für ein medienwirksames Ergebnis, was wiederum zu mehr Fördermitteln für weitere Studien führt, an dieser Stelle etwas salopper vorgehen.
Gern werden entsprechende Studien auch von Organisationen oder Interessengruppen bezahlt, die noch Argumente oder eine wissenschaftlich klingende Basis für ihre jeweils aktuelle Theorie benötigen. Damit möchte ich nicht die bewundernswerte Arbeit ernsthafter Wissenschaftler diskreditieren, sondern nur zu Bedenken geben, dass die Berufung auf eine Studie nicht zwangsläufig ein Beweis für irgendetwas ist. Um die Qualität einer Studie einordnen zu können, ist es wichtiger,
- ob eine Studie einen hochwertigen Aufbau hat (sogenannte Doppelblind-Studien mit einer Versuchs- und einer Kontrollgruppe gelten als Goldstandard),
- ob sie eine aussagekräftige Untersuchungsgröße mitbringt (30 Personen zu untersuchen ist nicht aussagekräftig für eine Weltbevölkerung von 7 Milliarden),
- wie sie finanziert wurde (wenn die Zuckerindustrie eine Studie finanzierte, die übermäßigen Zuckerkonsum für unproblematisch erklärt ist das genau so fraglich, wie wenn die Allianz der Veganer eine Studie fördert, die sämtliche tierischen Produkte als krankmachend etabliert…),
- ob möglicherweise das Ergebnis verfälschende Faktoren identifiziert und herausgerechnet wurden (wenn eine Studie proklamiert, dass die Verwendung der Babyzeichensprache Kinder intelligenter werden lässt, muss auch einkalkuliert werden, ob vielleicht Eltern mit höherer Intelligenz eher dazu neigen, dieses Form der Kommunikation anzuwenden und deren Kinder genetisch bedingt schon intelligenter sind)
Viele Studien, die es in die Medien schaffen, werden nicht auf ihre Qualität untersucht und sind somit im besten Fall nichts anderes als eine Meinung.
#3 Zucker ist kein Gift
Schon vor 10 000 Jahren haben die ersten Zivilisationen Zuckerrohr angebaut und es gibt Hinweise auf das Herauslösen, Reinigen und Kristallisieren von Zucker ca 600 AD. Natürlich hat die Verbreitung von Zucker heute andere Ausmaße als sich die ersten Zuckergenießer je hätten vorstellen können, doch es hilft sich vor Augen zu halten, dass es sich hier um keine moderne Erfindung handelt.
Zucker, egal in welcher Form – ob weißer Raffinadezucker, Rohrohzucker, Honig oder der Fruchtzucker in Obst und Gemüse – wird vom menschlichen Körper in die gleichen Grundbestandteile zerlegt. Gleiches gilt für alle anderen Kohlenhydrate, ganz egal wie komplex sie auch im Körper ankommen mögen: Sie werden alle die in die gleichen Grundbestandteile wie einfacher Zucker zerlegt.
Natürlich dauert der Abbau komplexer Kohlenhydrate in Einzelzucker deutlich länger, weshalb sie den Blutzuckerspiegel nicht so schnell ansteigen und wieder abfallen lassen. Das hat jedoch mehr eine Auswirkung auf die Sättigung und die mitgelieferten weiteren Nährstoffe, als dass es einfachen Zucker per se schlechter macht.
Wenn wir unserem Körper Zucker vorenthalten, bildet er selbst Zucker. Wenn der Blutzuckerspiegel unter bestimmte Grenzwerte rutscht, warnt der Körper mit Übelkeit und Zittern, bevor er irgendwann in die Bewusstlosigkeit fällt und – wenn kein Zucker zugeführt wird – daran verstirbt.
Wenn also unser Körper zwingend auf Zucker angewiesen ist und ihn in Zeiten von Mangel sehr aufwendig selbst produziert, wie können wir dann davon ausgehen, dass Zucker unter allen Umständen zu vermeiden sei?
Sicherlich kann zu viel Zucker schädlich sein. Doch, um es mit Joey Lott in seinem Buch In Defense of Sugar zu sagen: Das gleiche gilt auch für Wasser.
#4 Zucker macht nicht abhängig
Die angstmachende, medienwirksame Behauptung, dass Zucker die gleichen (oder schlimmere) Auswirkungen im Gehirn verursacht, wie Kokain oder andere Suchtmittel, hat sich leider weit verbreitet. Sie ist ein weiteres Beispiel für die Verdrehung der Tatsachen in den Medien, wenn die zitierte Studie nicht gelesen und kritisch betrachtet wurde. Die Gründe, die gegen eine Zuckerabhängigkeit sprechen, habe ich bereits ausführlich hier beschrieben.
#5 Zucker bewusst einzuschränken behindert natürliches Essverhalten
Wenn du regelmäßig außer Kontrolle gerätst, sobald du etwas Süßes isst, dann ist mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht der Zucker daran schuld. Viel wahrscheinlicher liegt die Ursache darin, dass du süße Lebensmittel als schlecht oder verboten betrachtest, die du dir normalerweise nicht erlaubst oder mit schlechtem Gewissen isst. Vielleicht entscheidest du auch nach jedem Ausrutscher, dass du nie wieder Pralinen essen wirst und dann besser gleich alle noch verfügbaren vertilgen solltest.
Dieser Hintergrund kann dafür sorgen, dass du nach Beginn des Umlernprozesses, in dem alle Lebensmittel als neutral betrachtet werden, zeitweise sehr viele Süßigkeiten isst. Das ist völlig normal und nur vorübergehend. Wie ich hier bereits beschrieben habe, lässt diese Phase umso schneller nach, je bereitwilliger du dich darauf einlässt. Wenn du weiter Zucker vermeidest, wird Zucker auch dein Schwachpunkt bleiben, an dem du dich bei jeder Gelegenheit überfutterst. Die „Jetzt ist eh alles egal“ Mentalität wird jedes Mal einsetzen, sobald du mehr Zucker gegessen hast, als du für dich als akzeptabel vorgesehen hast.
#6 Dieser Lernprozess ist zeitlich begrenzt
Wenn du auf dem Weg zu mehr Freiheit und Entspannung im Umgang mit Essen für eine Weile größere Mengen an Süßigkeiten isst, dann behalte im Auge, dass das zeitlich begrenzt ist. Die Faszination wird nachlassen, je mehr du dir alles erlaubst und die nicht-hunger-basierten Gründe fürs Essen genauer betrachtest.
Ein gesunder Körper ist gut in der Lage, damit umzugehen und wird dir in nicht allzu langer Zeit deutlich machen, dass ein Käsebrot oder ein großer Salat jetzt deutlich leckerer wären, als ein weiterer Snickers Riegel. Die Faszination mit zuckerhaltigen Lebensmitteln wird nachlassen und damit wird sich auch langfristig dein Zuckerkonsum so normalisieren, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit bedenkenlos ist.
Vertraue deinem Körper. Er wusste schon, was er tut, bevor du darüber nachdenken konntest.
Praxis-Tipp: Wenn das schlechte Gewissen hervorkriecht, weil du etwas Süßes isst, dann halte dir die genannten Aspekte dieses Artikels immer wieder vor Augen. Statt auf äußere Meinungen zu schauen, beobachte, wie es DEINEM Körper nach dem Verzehr von Süßigkeiten geht.
Für mehr Tiefgang zu diesem Thema, lies eins der beiden erwähnten, im Artikel verlinkten Bücher.
Ich hoffe ich habe in dir eine neue Skepsis geweckt und du kannst etwas gelassener bleiben, wenn das nächste Mal eine Studie die Schlagzeilen beherrscht. Zucker ist für einen gesunden Menschen nicht gefährlicher ist als Wasser oder Salz – zu wenig und zu viel wirkt sich nachteilig auf die Gesundheit aus, doch das gilt für Salatblätter genauso wie für Schokolade.
Wenn du also Hunger auf etwas Süßes hast, dann genieße es in vollen Zügen und respektiere die Signale deines Körpers, wann er genug hat. Die gewonnene Lebensfreude durch weniger Ernährungsstress wird deiner Gesundheit guttun!
Vielen Dank für deinen Beitrag! Weißt du?! Manchmal frage ich mich, wie die Menschen ‚überlebt‘ haben, die sich KEINE Gedanken über die Ernährung gemacht haben. Zumindest waren sie ein Stück glücklicher als die ‚Maschinen‘ heutzutage, die alles richtig machen wollen. Aber im guten alten damals gab es auch noch keinen Berufszweig, in dem sich ne goldenen Nase mit der Angst nicht gut genug zu sein , verdient wurde.
Ich hoffe es wachen alle bald auf!
Liebe Nancy,
Danke für den tollen Kommentar – hat mich zum Lachen gebracht 🙂 Da hast Du völlig recht – der Perfektionismus dahinter ist sehr erschreckend. Und es sieht nach einem völlig unentspannten Leben aus. Schön, dass Du da auch nicht mitmachst!
Liebe Grüße,
Heidi
Vielen Dank für den tollen Beitrag. Ich bin gerade GANZ am Anfang vom intuitiven Essen und habe noch Probleme damit, mich nach dem Essen von Zucker nicht schlecht zu fühlen. Zur Zeit esse ich noch sehr viel davon, weil ich es mir schon lange verboten hatte aber überraschenderweise (?) bin ich noch nicht dran gestorben und mein Körper fühlt sich auch nicht superschlecht (wie ich es erwartet hatte, wenn ich wieder mehr Zucker esse.)